Neues LSG-Urteil: Arbeitnehmerähnliche Selbstständigkeit

LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 11. Oktober 2021

Ausgangslage

Der Anklagende war von 2009 bis 2014 als selbstständiger Handelsvertreter aktiv. Über einen Hauptvertreter hat er Verträge über Baukomponenten für mehrere Unternehmen vergeben, darunter einen Fensterbaubetrieb. Diese Aufträge wurden über einen weiteren Handelsvertreter an das jeweilige Unternehmen weitergeleitet. Von diesem Handelsvertreter bekam er die Provisionen für die vermittelten Verträge. Der beklagte Deutsche Rentenversicherung Bund (DRV) stellte fest, dass der Kläger für die Zeit vom 1. Januar 2009 bis zum 31. Dezember 2014 nach § 6 SGB VI Satz 2 Absatz 1 Satz 9 versicherungspflichtig gewesen sei. Der Grund: Er war selbstständiger Handelsvertreter, mit im Grunde nur einem Auftraggeber, nämlich einem weiteren Handelsvertreter, der von dem Anklagenden erhaltene Aufträge an verschiedene Unternehmen weiterleitete und dem Klägern Provisionen zahlte. Der Kläger beanstandete, er habe nicht nur einen, sondern verschiedene Auftraggeber gehabt. Damit meine er die Firmen, an die er die Aufträge seiner Kunden vermittelt habe, so dass die Versicherungspflichtvoraussetzungen gem. § 2 Satz 1 Nr. 9 SGB VI nicht zuträfen. Eine Beitragspflicht wäre aus diesem Grund ausgeschlossen.

Das Sozialgericht wies die Klage nach Erhalt verschiedener Informationen in einem umstrittenen Gerichtsurteil ab. Hiergegen legte der Kläger Berufung ein. Er akzeptierte und schrieb Aufträge für mehrere Unternehmen, dass ein anderer Handelsvertreter diese Aufträge weiterleitet, ändert nichts daran, dass hier mehrere Kunden berücksichtigt werden müssen. Ebenso verdient der andere Handelsvertreter an den Aufträgen, die der Ankläger bekommt, wenn auch Beträge in unbekannter Höhe. 

Urteil

Das Landessozialgericht wies den Einspruch als grundlos zurück. Der Kläger hat als Handelsvertreter für Bauelemente eine selbstständige Tätigkeit ausgeübt. Auf diesen Beschluss kam der Senat im Einvernehmen mit den Beteiligten, auf der Grundlage der allgemeinen Umstände der Tätigkeit und unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls. Er ist nicht an Weisungsrechte des Auftraggebers gebunden. Auftraggeber war in diesem Fall ein weiterer Handelsvertreter, der als sogenannter „selbstständiger Hauptvertreter“ Verträge mit verschiedenen Unternehmen abgeschlossen hat. Allein der Hauptvertreter hat die Geschäftsbeziehungen und Konditionen zu diesen Unternehmen. Der Kläger reichte den Auftrag bei dem Hauptvertreter ein, der den Auftrag an beide Unternehmen weiterleitete und die von ihm mit beiden Unternehmen ausgehandelten Provisionen abrechnete.

Das Endresultat lautete also: Es bestand eine eigene Handelsvertreterbeziehung zwischen dem Anklagenden und dem anderen Handelsvertreter. Es gab zwar ein Provisionsanspruch, aber lediglich gegenüber dem anderen Handelsvertreter und nicht gegenüber den Firmen. Zahlungen erhielt der Kläger ausschließlich durch den Hauptvertreter.

Hinweise für die Praxis

  • Auch andere LSG bedienen sich bei der Rechtsprechung den Bedingungen aus § 2 Satz 1 Nr. 9 SGB VI, so z.B. das Landessozialgericht Bayern, FD-SozVR 2016, 379829. Weil der Anklagende keine vertragliche Einigung mit den Unternehmen hatte, für die er im Endeffekt die Aufträge vermittelte, ist seine Tätigkeit keine abhängige Beschäftigung.
  • Die gegebene Situation ist sehr verwirrend. Sowohl die Beklagte, als auch SG und LSG versuchten den Sachverhalt aufzuklären, sodass sich der Rechtsstreit lange hinzog. Die Beklagte verhängten gegen den Kläger auch Geldbußen für verspätete Zahlung, die jedoch nicht Gegenstand des Rechtsstreits waren. Im Jahr 2014 belief sich die Forderung des DRV auf eine Gesamtforderung von 32.154 Euro, sodass der Kläger 200 Euro in monatlichen Raten zahlte. Diese Rate wurde zunächst mit den Beitragsschulden verrechnet sein. Da es sich hier um einen Sonderfall handelt, könnte man sich fragen, ob die Säumniszuschlagspflicht wirklich besteht. Der Kläger handelte nach seinem Selbstverständnis als Handelsvertreter für die Unternehmen, für die er Aufträge vermittelte. Der Hauptvertreter könnte auch als eine Art „Stelle zur Zahlung“ angesehen werden, die Provisionen berechnet und auszahlt, vergleichbar mit einem Buchhalter. Die wirtschaftliche Abhängigkeitsbeziehung zur Legitimation der Versicherungspflicht, bestand bei den Unternehmen, für die der Kläger Kundenaufträge vermittelte, mindestens gleichermaßen.
  • Noch unübersichtlicher wird der Sachverhalt, wenn zwei HandelsvertreterInnen gleichzeitig für denselben Auftraggeber am selben Standort tätig sind.